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Schwarzbachbett 10

from Schwarzbachbett by Gulden / Thewes

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lyrics

10
NACKT VOR DIR
SJ schält sich langsam aus der Decke. Breitet die Decke auf dem Tisch aus. Altardecke.
Er zieht die Deckenenden zurecht, streicht die Decke glatt.
Das wie alles folgende macht SJ langsam und
mit äußerster Sorgfalt.
SJ stellt den Stuhl, Beine nach vorn, auf den Tisch,
dreht sich um, beginnt, seine Schuhe auszuziehn,
dabei spricht er normal, eher leise:
Nicht wert, die Riemen deiner Schuhe zu lösen:
Mutter, Mutter!
Die Fußstapfen, in die ich treten sollte, von Kind auf,
du hast es gewollt, sie waren zu groß für mich!
Ich habe mich, Gott weiß es, bemüht, aber ich konnte
nicht stehen darin, geschweige denn gehen!
Ab jetzt macht SJ den Stuhl zur Anziehpuppe, zum Gegenüber.
Er trägt die Schuhe zum Stuhl auf dem Tisch,
stellt sie, je einen, akkurat, vor ein Stuhlbein.
Dann zieht er sich weiter aus:
die Strümpfe steckt er, je einen, in einen Schuh.
Die Jacke hängt er über die Stuhllehne, die Hose
legt er, so, dass je ein Hosenbein über ein Stuhlbein
zu liegen kommt. Das Hemd drapiert er unter die Jacke,
das Unterhemd auf die Hose, die Unterhose auf das
Unterhemd. Nackt steht er da.
Während er sich auszieht, spricht er im Mutter Ton:
Du bist nicht wie die anderen, ich spüre es,
vom ersten Augenblick an habe ich es gespürt.
Ich fühle es, hier, hier drin, ganz tief hier drin,
glaub mir, du bist anders als die anderen, ich weiß es,
du bist etwas besonderes, ein Geschenk Gottes,
todsicher, eine Mutter hat das im Gespür, einen sechsten Sinn!
Dann wieder, normal, leise, eindringlich:
Mutter, dein Gespür, dein sechster Sinn, dein Mutterherz!
Ich wollte nie etwas besonderes sein, nie anders als die anderen sein! Im Gegenteil, ganz im Gegenteil:
Ich wollte sein wie die anderen, wie alle anderen, ganz normal! Obwohl ich es immer wieder gern (gehört) gehabt habe, wenn du mich hervorgehoben, ja, sogar mit einer gewissen Ehrfurcht behandelt hast: ein Geschenk Gottes, dein einziges Kind, spät noch, deine
Gebete erhört - und wie!
„Gott hat mir einen schwachen Mann genommen, aber (dafür) einen starken Sohn geschenkt“, hast du gesagt, Mutter, deine Worte! Wie oft. Der Tod des Vaters, m e i n e s Vaters, der Unfall,
„Gottes Fügung, Gott hat es so gewollt!“, hast du immer wieder auf meine Fragen geantwortet: „Gott weiß, was er tut.“
Weißt du, Mutter, bei jedem „Vater unser“ habe ich an ihn gedacht, an meinen Vater, deinen Mann, der mich gemacht hat!
„Vater unser, der du bist im Himmel!“, hier, hier (unten)
hätte ich dich gebraucht , hier auf der Erde!
Vielleicht wäre ich ein anderer geworden, vielleicht ein Lehrer,
(mit) Familie mit Kindern, alles wäre anders geworden, anders gewesen... Vater, (mein) Vater, warum hast du mich verlassen, mich
allein (zurück)gelassen!
Mutter, du hattest recht, ich bin etwas besonderes, etwas ganz besonderes bin ich geworden, ja, anders als die anderen, ganz anders!
Dein Geschenk Gottes: und was für ein Geschenk!
SJ, inzwischen nackt, schlägt sich mit der Faust gegen die Stirn,
schreit:
Mutter, Mutter, ich wollte immer nur Mensch sein! Ein Mensch!
Einfach ein Mensch!
Nicht mehr, auch nicht weniger! Heute weiß ich:
Es ist schrecklich, es ist furchtbar genug, Mensch zu sein, aber
Priester! Ein Priester! Oh Gott, oh Gott, oh Gott!
SJ sackt in die Knie vor dem „angezogenen“ Stuhl auf dem Tisch. Beginnt im Jammer-Klageton (quasi Rezitativ):
Hast du das Auge eines Sterblichen, siehst du, wie Menschen sehen?
Deine Hände haben mich gebildet, mich gemacht, dann hast du dich umgedreht und mich vernichtet.
Denk daran, dass du wie Ton mich geschaffen hast, zum Staub willst du mich zurückkehren lassen.
Mit Haut und Fleisch hast du mich umkleidet, mit Knochen und Sehnen mich durchflochten.
Warum ließest du mich aus dem Mutterschoß kommen, warum verschied ich nicht, ehe mich ein Auge sah?
Wie nie gewesen wäre ich dann, vom Mutterleib zum Grab getragen

ins Land, so finster wie die Nacht,
wo Todesschatten herrscht und keine Ordnung und wenn es leuchtet, ist es wie tiefe Nacht.
SJ schlägt die Hände vors Gesicht. Verharrt so eine Weile.
Stille.

credits

from Schwarzbachbett, released November 13, 2023

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Christof Thewes Schiffweiler, Germany

www.christofthewes.de

arbeitet als Posaunist, Komponist+Arrangeur .
leitet verschiedene Ensembles und Musikprojekte von Solo bis Big Band, die sich zwischen modernem Jazz, freier Improvisation und Neuer Musik bis hin zu experimenteller Rock, Funk und Popmusik bewegen. ... more

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