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Pain Songs Part I
22:19
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Alfred Gulden
SIEBENSCHMERZEN
I
SCHMERZ: IHN SEH ICH.
VOR MIR. DAS GESICHT DER FRAU.
AUF DEM FOTO. EIN MANN.
LIEGT DA. AUF DER STRASSE.
DIE ARME. WEIT. DIE AUGEN.
STARR. TOT. IHR SOHN. SAGT
UNTER DEM FOTO DER TEXT.
II
SCHMERZ: IHN HÖR ICH
JEDE NACHT. NEBEN MIR. WENN
SIE TRÄUMT: SIE KOMMEN.
WIEDER. NEHMEN SIE. MIT.
DIE MÄNNER. MASKIERT. NUR
AUGEN. BLICKE. UND TUN ES. IHR
KÖRPER. DER IHR SAGT SIE
SEITDEM NICHT MEHR GEHÖRT.
III
SCHMERZ: IHN RIECH ICH.
UM MICH. DER GANG. DAS LETZTE
ZIMMER. IM ZIMMER. ALLEIN.
AM BETT. DIE MASCHNEN. KEUCHEND
DER ATEM. EIN SCHREIEN. EIN SCHREI
JEDER ATMER. STICHT. AUS
DER ZEIT EIN STÜCK
IV
SCHMERZ IHN SCHMECK ICH
AUF DER ZUNGE SCHNEIDET SCHARF.
DAS WORT. MEIN EIGEN FLEISCH.
UND BLUT. SARG .NAGEL FRÜHER TOD.
DU. DAS KIND. IST SCHULD.
SPRICH WORT: VERGIB VERGISS.
WIE. WENN ZUNGE FEHLT.
V
SCHMERZ: IHN FÜHL ICH.
JEDE STUFE. WEITER. EIN TRITT.
DIE KNIE. ZITTERN. SO. GEHT ES
NICHT. BESSER. GETRENNT. ALS
ZUSAMMEN. SAG ICH. MIT DIR.
SCHLUSS. JEDER SCHRITT. FÄLLT
SCHWER. MUSS. WEITER: GEHEN
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2. |
Pain Songs Part II
21:47
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VI
SCHMERZ: IHN NENN ICH.
BLUT IM SCHUH. BAND UMS HERZ.
SEILERS TOCHTER. MARLENICHEN:
BENICHEN. UNTERM MACHANDELBOOM.
WER BLÄST AUF MEINEM KNÖCHELCHEN.
DER WIND. DER WIND. ICH. BRÜDERLEIN.
RABENKIND. IM EISENOFEN. HEISS.
KLAG DEIN LEID. FALLADA.
VII
SCHMERZ: IHN SING ICH.
VOM MUTTER SCHOSS. FÄLLT ER.
HELD. IN DEN SUMPF. DEN GRABEN.
UND AUS DER TIEFE RUFEN.
O HAUPT VOLL BLUT UND WUNDEN.
DA FRESSEN IHN DIE RABEN.
AM TAG DES ZORNES. TAG DER ZÄREN.
POMMERLAND IST ABGEBRANNT.
VIII
SCHMERZ: IHN DENK ICH
MIR AUS. ZORN. HASS. FEIND.
SAG: FALL TOT UM. SCHLAG
ZU. DAS GESICHT FRESSE. BIBEL
FEST: AUGE UM AUGE. DANN
NASE. KIEFER. UNTERLEIB.
LIEGT ER. DA. AUF DEN BRETTERN.
IX
SCHMERZ: IHN SCHENK ICH
DIR.POW. SLAMM! TCHOK!! WHAMM!!!
ZERFETZT. ZIGTAUSEND BILDER. GRELL
AUSGEMALT. SEBASTIAN: EIN KINDER
SPIEL. SPRECHBLASEN. PLATZEN. LASSEN
TODESSCHREIE: UNNGHH! OOAAA! SCREE!
IM WELTENBRAND. DER COMICKRIEG.
X
SCHMERZ: IHN TEIL ICH
NICHT AUF.GROSS. ODER KLEIN. ODER.
JUDAS. WAS WEISS ICH.VON DIR.
VERDORRT. AM FEIGENBAUM. NARBEN.
ZEICHEN. STUMM. ZWISCHEN HIMMEL
UND ERDE. HÄNGST DU. VON ALLER
WELT UND GOTT VERLASSEN.
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3. |
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ES LIEGE EINER AUF LEICH´
Die Vorgärten der Gräber,
gescheitelt von dem kleinen
mit der Schnur gezogenen Weg darin,
der sich vor dem Grabstein gabelt.
Aufgeteilt genau in die Mitte
zwischen Weg und der Begrenzung
des Grabes, zwei Vasen mit Gladiolen.
Die Buchsbaumhecke um das Grab
herum mit der Schere geschnitten,
kein Ästchen sticht heraus.
Die weißen Steinchen auf den Weg
gestreut, mit der Hand sorgsam verteilt.
Zwei rote Lämpchen, ewiges Licht,
die Kerzen jeden Abend entzündet .
Rechts und links in den Ecken der
Vorderseite des Gärtchens, Torferde,
mit dem Rechen in Muster gelegt,
glatter Strich, exakt. Der viereckige
Grabstein aus rötlichem Marmor,
golden die Schrift darin auf Mittelachse.
Es liege einer auf Leich.
Drei Tage abends dorthin gehen,
beten. Und den Toten konnte man
im Sonntagszimmer sehen.
Aufgebahrt. Eine schöne Leich,
sagten sie, sei er gewesen.
Es habe gut getan, ihn noch einmal
zu sehen, so friedlich, so zufrieden.
Fast hätt er lachen können,
habe man gemeint.
Einmal beim Versteckspielen
in der Baracke hinter dem Altersheim
stand ich plötzlich vor einer aufgebahrten
Leiche, gelb das Gesicht, ihr Mund offen,
die Augen geschlossen, tief in den Höhlen,
die Hände gefaltet, der Rosenkranz
hing zwischen die Finger geklemmt.
Erstarrt stand ich, ich musste hinschaun,
ehe ich langsam rückwärts ging bis
zum Fenster, ausstieg mit zitternden
Knien und hinaus rannte in die Sonne.
Wenn im Winter der Kutscher
die Pferde antreiben musste den Berg
hinauf steil hoch zum oberen Tor des Friedhofs,
die Pferde mit den Hufen über das eisglatte
Pflaster scharrten, auf der Stelle traten,
der Trauerzug ins Stocken kam, der Kutscher
Männer aus dem Trauerzug um Hilfe bat,
hochgekrempelt die Anzugärmel, rote Köpfe,
der Kutscher die Pferde an der Leine zog,
dann auf sie einschlug,wütend, laut fluchte,
Leute aus dem Trauerzug zur Seite traten,
kein Beten mehr, miteinander redeten sie
vom Winter, den Pferden, dem Kutscher,
und über den Toten und seine Verwandten,
dann hatte ich das Gefühl,
dass ein Krampf sich löste,
da waren wieder Menschen,
die ich kannte.
Querschläger, Einschüsse,
sich vorzustellen, wie sie in die Kruzifixe
schlugen, Seitenwunde, dort ein Loch, wo
ein Gesicht gewesen war, die Füße weg,
Armstummel, ausgestreckt, wehrlos, fest
genagelt, Bauchschuß, dass die Bronze
aufgerissen klafft, wie bei denen aus Fleisch
und Blut in erbitterten Nahkämpfen,
zwischen den Gräbern, hinter Grabsteinen
hervor und aus den Hecken am Weg,
Verteidigungslinie quer über den Friedhof
der Sturmtrupp, haltet die Front Parole,
der Platz für die Helden Gräber Monument
mit Fahne und Kreuzen und Kränzen,
Blasmusik und die Frauen in Schwarz,
sich vorzustellen die Querschläger, Ein-
Schüsse, die in die Kruzifixe fahren
Damals als Ministrant
Weihwasserkessel und Weihwasserwedel
in der Hand neben dem Pastor am Grab.
Die Frau und die beiden Kinder, an die Mutter
geklammert, weinten, mehr schon ein Schreien,
dass es den umstehenden Angehörigen
unangenehm war. Sie schauten zu Boden.
Unfall, hieß es, im Stahlwerk, ein vom Kran
herabfallender Stahlblock tonnenschwer.
Der Mann sofort tot.
Als die Träger den Sarg in die Grube hinab
ließen, stürzte die Frau plötzlich vor. Die Kinder
an den Mantel der Mutter geklammert,
stürzten mit, fielen mit in die aufgeschaufelte
Erde. Lagen da. Schreiend. Zwei Männer
zogen die Frau und die Kinder hoch. Hielten
sie fest an den Armen. Die Kinder weinten
in den Mantel der Mutter. Einer der Männer
redete leise auf die Frau ein. Der Pastor
zog die Augenbrauen hoch. Schüttelte leicht
den Kopf. Der eine redete noch immer,
als die Frau sich losriss, ihn wegstieß, schrie:
„Ihr wißt nichts! Ihr wißt nichts! Ihr alle nicht!"
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4. |
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Immer, wenn dieser Satz kam,
ich wartete schon auf diesen Satz,
bei jeder Beerdigung wartete und
wartete ich auf diesen einen Satz,
wenn der Sarg in der Grube war,
und bevor mit der kleinen Schaufel
von den Trauernden der Sand auf
den Sarg geworfen wurde, dieses
Geräusch, als kratze der Tote am Holz,
dass jetzt gebetet werde für den, der
dem Toten aus der Mitte der hier
Versammelten als nächster folgen werde,
lief mir ein Schauer über den Rücken,
wenn ich aufschaute in die Gesichter
der Dastehenden, jeder gemeint, aber
wer würde es sein, dachte ich mir,
alle möglich, aber einer der nächste,
und fast nie an mich dachte dabei.
Sehen Sie, sehen Sie da,
und ich mich mir gegenüber sah als
Schädel,Gebiß, die Knochen der Kiefer,
auseinander die Zähne, wie A gesagt
oder ein Staunen, Mund offen.
Sehen Sie, sehen Sie da
dieser Punkt, diese Stelle,
dieser winzige Fleck, ein kleines
dunkles Etwas, das weg muss.
Sah ich mich mir gegenüber
als Skelett, Gerippe, der Knochen-
Mann, der mit der Sense
auf der hohen Standuhr in der
Ecke der Kirche hoch oben
die Zeit schnitt, jeder Hieb
eine Sekunde weniger,
eine Sekunde mehr.
Sah ich mich in einem Glas-
sturz auf dem Seitenaltar
unter verwelktem Blumenschmuck,
jeder Knochen Juwelen beringt,
gebettet auf Samt mit falschen Augen,
Schreckbild, kein Trost.
Und alle mit anderen Augen sah:
den Arzt und die Leute im Wartezimmer,
draußen die in den Autos, und die, die
über die Kreuzung gingen.
Kein Jüngling, schön, der an dich herantritt,
ein Flüstern ins Ohr, der dich an der Hand
nimmt und weggeht mit dir, jeder sein eigener
Tod, inwendig, der mitgeht, der stehenbleibt,
der die Zeit in Sekunden schneidet,
jetzt das Glas mitanhebt und absetzt, die Zähne
aufeinandergepreßt vor dem Grinsen.
Dunkel, fast schwarz sei der Himmel
gewesen über dem Bergkamm, hinter dem Tal,
da, wo die Wetterecke sei, und darunter
ein gelber Streifen, ganz übergangslos
von Schwarz nach Gelb, untereinander,
ein seltsames Licht, und alles so nah und
doch weit weg, die Bäume, die Telegrafen-
Masten, die Büsche am schwarzen Fluss,
die Häuserreihen, leer die Straßen, weit
und breit keine Menschenseele zu sehen,
die Türen und Fenster der Häuser seien offen
gestanden, weit offen, und vom Hüttenwerk
kein Ton, kein Rauch, in der Luft kein Vogel,
die Tauben hätten vor allem gefehlt,
von der Zeitglocke der Kirche nichts zu
hören, obwohl sie hätte schlagen müssen,
und bei einem Blick auf die Uhr am
Handgelenk sei der Sekundenzeiger still
gestanden, unbeweglich, und am Ohr
sei auch auch nach dem Aufziehen
kein Ticken zu hören gewesen, und
keine Bewegung des Zeigers, und selbst,
er sei versteinert gewesen,erstarrt,
unmöglich, den Arm zu heben, den Kopf
zu drehen, einen Schritt zu machen, am
schlimmsten, aber, dass die Zunge wie Blei
ihm im Mund gelegen sei, fest am Gaumen,
zu schreien, zu sprechen nicht möglich,
und die Augen weit offen, starr nach vorn
geschaut, sei er gestanden, bis auf einmal,
wo die Wiesen vor dem Bergkamm sich
hinzögen, durchschnitten von dem schwarzen
Fluß, der Boden sich aufgeworfen habe,
wie von millionen Maulwürfen aufgestoßen,
sei der Boden aufgebrochen, Gräben hätten
sich aufgetan, die Wiesen von Gräben durch-
zogen, ein Schanzwerk, die Wiesen durchfurcht,
und da habe er einen Luftzug gespürt,
Wind, starker Wind jetzt, Sturm, der die Bäume
und Sträucher zur Erde gebogen hätte,
und da habe er sie gesehen,
vor sich gesehen, aus dem Boden gewachsen,
tausende, die Arme nach oben gereckt,
nackt, die Haut in Fetzen vom Leib,
unübersehbar viele, und alle die Toten
seien langsam auf den Bergkamm zu
gegangen, schleppend langsam,
immer neue Wellen von ihnen aus den
Gräben, Gräbern, wie auf alten Bildern
von Schlachten, die Reihen nach Reihen,
als plötzlich ein grelles Licht, ein Blitz
querdurch gefahren sei, ein wahnsinniger Schmerz,
der habe ihm die Zunge gelöst,
dass er geschrien habe, nicht mehr habe aufhören
können zu schreien, bis er eine Hand auf seiner
Stirne gespürt, und eine Stimme gehört habe,
dass es gut sei, es sei vorbei, es sei doch gut,
und er die Augen geöffnet habe, geschlossen,
denn hell, zu hell, sei es um ihn herum gewesen,
als er aufgewacht sei im Krankenhaus
nach seinem schweren Unfall im Hüttenwerk.
Als wäre der Zusammenstoß
mitten in meinem Kopf ein scharfer Knall,
dass ich mir unwillkürlich an den Kopf
griff, die Hände auf die Ohren drückte,
dann sah, wie die beiden Autos auseinander
schossen, das eine sich mehrmals überschlug,
das andere mit einem Krachen an einem Pfosten
zum Halten kam, die Türen aufflogen und ein
Körper, hinausgeschleudert, sich über die Fahrbahn
drehte, dann wieder schrilles Quietschen
von Bremsen, und der Körper hoch
geschleudert, neben mir auf dem Bürgersteig
aufschlug.Starr, ich stand starr. Lange. Sprachlos,
als der Polizist mich fragte, ansah, dann sagte,
ich solle mich dort an die Mauer setzen,
während der andere Polizist eine Decke über
den Körper des Daliegenden zog.
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Christof Thewes Schiffweiler, Germany
www.christofthewes.de
arbeitet als Posaunist, Komponist+Arrangeur .
leitet
verschiedene Ensembles und Musikprojekte von Solo bis Big Band, die sich zwischen modernem Jazz, freier Improvisation und Neuer Musik bis hin zu experimenteller Rock, Funk und Popmusik bewegen.
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